Berlin (ots) –
Es ist so weit. Zum 1. November tritt das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft. Damit dürfen Menschen in Deutschland das tun, was in einem guten Dutzend Staaten auf der Welt längst möglich ist: über das eigene Geschlecht selbst bestimmen. Ein Tag für die Geschichtsbücher.
Die Ampelkoalition hat aufgeräumt mit dem unsäglichen Zustand, den das Transsexuellengesetz für Tausende Menschen hierzulande bedeutet hat. Bislang musste, wer sich als trans, inter oder nicht binär identifiziert, einen teuren und entwürdigenden Prozess durchlaufen, um den Geschlechtseintrag und Namen ändern zu lassen. Ärzte und Juristinnen bestimmten mit, wer Mann, wer Frau und wer weder noch war, in einer Praxis, die den Bestimmungen des Grundgesetzes zuwiderlief, medizinisch überholt war und queere Menschen als psychisch krank abstempelte.
Nicht mehr, nie wieder. Endlich. Die Erleichterung, die das Selbstbestimmungsgesetz für eine Minderheit in Deutschland bedeutet, ist immens und ist unschätzbar wertvoll. Der Ampel ist mit dem Selbstbestimmungsgesetz ein queerpolitischer Meilenstein gelungen – doch dessen Ecken und Kanten bedürfen noch des Feinschliffs. So atmet das Gesetz eine Grundhaltung des Misstrauens, nicht nur gegenüber queeren Menschen. Es haben Regelungen Eingang in den Text gefunden, die etwa bestimmen, Männer können nicht ihr Geschlecht ändern, um im Kriegsfall den Dienst an der Waffe zu verweigern. Dieses Recht gewährte das Grundgesetz Männern in Deutschland schon immer. Warum sollte jemand sein Geschlecht dafür ändern wollen? Auch gibt der Text Befürchtungen aus dem (rechts-)konservativen Lager viel Raum. Stichwort: Hausrecht. Es wird etwa Fitnessstudios weiterhin möglich sein, Menschen den Zutritt zu verwehren und damit aufgrund ihres Geschlechts zu diskriminieren. Das Recht auf Selbstbestimmung endet an der Tür, um Frauen vor Gewalt zu schützen, in der Annahme, ein Mann würde, salopp gesagt, mal eben zur Frau, um Gewalt ausüben zu können.
Um es klar zu sagen: Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland ein gesamtgesellschaftliches Problem, geht vor allem von Männern aus – nicht Trans-Frauen – und findet in den allermeisten Fällen im privaten Umfeld statt. 155 Frauen starben im Jahr 2023 durch die Hand ihres (Ex-)Partners. Keiner dieser Täter musste sein Geschlecht ändern, um seine Partnerin in einer Frauensauna töten zu können. Zumal: Das Gesetz bestimmt eine dreimonatige Bedenkzeit zwischen Anmeldung der Änderung eines Geschlechtseintrags oder Namens und dem Vollzug. Wer Frauen in der Umkleide ausspannen will, der findet dazu auch in der Zwischenzeit Gelegenheit und braucht nicht ein Selbstbestimmungsgesetz als Einfallstor in Schutzräume. Wünschenswert wäre auch gewesen, dass das Selbstbestimmungsgesetz für Geflüchtete und Staatenlose gilt.
Dass Minderjährige die Einwilligung ihrer Eltern benötigen, mag auf den ersten Blick plausibel erscheinen. In der Praxis wird diesen Menschen das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung nur eingeschränkt, am Ende über den Weg der Familiengerichte, gewährleistet. Maßstab ist dort das Kindeswohl – wobei dem Wohl des Kindes am dienlichsten wäre, es dürfte frei selbst bestimmen. Im Zweifelsfall entsteht nur Verwaltungsaufwand. Etwaige Änderungen sind nicht in Stein gemeißelt und lassen sich nach Jahresfrist rückgängig machen. Wer mit 17 merkt, dass sie, wie mit sieben gedacht, doch kein Mann ist, geht zum Amt.
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