Strategiewechsel / Kommentar von Friedrich Roeingh zu Corona und Schule

0
5

Mainz (ots) – Typisch deutsch: Wenn wir uns erst einmal auf der Ebene von Erlassen und Verwaltungsanordnungen bewegen, verlieren wir gerne das große Ganze aus dem Blick. Die Debatte um die Wiederbelebung der Schulen in Corona-Zeiten ist dafür ein trauriges Beispiel, bei der wir die Maßstäbe verrückt haben. Diejenigen beanspruchen die Aufmerksamkeit für sich, die im Blick haben, ob überall genügend Desinfektionsspender hängen, ob das Abstandhalten wie geplant funktionieren kann. Die sorgenvolle Suche nach Regelungslücken aber verhindert den Blick auf das Wesentliche: Darauf, wie wir eine Bildungskatastrophe verhindern können, auf die wir sichtbar zusteuern.
Bezeichnenderweise sind es nicht die Fachpolitiker, nicht die Lehrergewerkschaften und nicht die Elternverbände, die den dringend nötigen Perspektivwechsel anmahnen, sondern vier medizinische Gesellschaften – darunter der Berufsverband der Kinderärzte und die Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie. Sie fordern nicht weniger, als Kitas und Grundschulen so schnell wie möglich wieder für alle Kinder zu öffnen. Man muss kein Kinderpsychologe oder Lernforscher sein, um zu sehen: Wenn auch das nächste Schul- und Betreuungsjahr für die Kleinen verloren ginge, dann wird das viele Kinder unwiederbringlich in ihrer Entwicklung und ihren Bildungschancen zurückwerfen. Das Lesen- und Schreibenlernen kann man Erst- und Zweitklässlern nun einmal nicht per digitalem Home-Schooling beibringen. Und für die weiterführenden Schulen gilt: Kinder aus prekären Verhältnissen und Kinder, in deren Familien nicht deutsch gesprochen wird, werden dabei gnadenlos abgehängt. Der Anteil der Gescheiterten, die nach der neunten oder zehnten Klasse nicht mal den Hauptschulabschluss erreichen, wird voraussichtlich über viele Jahre deutlich steigen – und er ist jetzt schon viel zu hoch.
In der Debatte wird zudem ausgeblendet, dass Kinder nach allen bisherigen Erkenntnissen gar nicht die Treiber des Infektionsgeschehens sind: nicht in Italien vor dem Shutdown, nicht im libertären Schweden, und auch nicht in Dänemark, wo dem Grundschulbetrieb Vorrang vor Abiprüfungen eingeräumt wurde. Prioritäten müssen dringend neu definiert werden: Vollversorgung für Erst- und Zweitklässler; vorrangige Beschulung der Kinder, von denen ihre Lehrer am besten wissen, dass sie auf Präsenzunterricht angewiesen sind; Lebensarbeitszeitkonten für Lehrer, die bereit sind, sich in dieser prekären Situation freiwillig über die Stundentafel hinaus einzubringen. Und keine beziehungsweise halbe Sommerferien für Bildungspolitiker und Schulleitungen.

Pressekontakt:

Allgemeine Zeitung Mainz
Zentraler Newsdesk
Telefon: 06131/485946
desk-zentral@vrm.de

Quelle:Strategiewechsel / Kommentar von Friedrich Roeingh zu Corona und Schule


Importiert mit WPna von Tro(v)ision

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.