Tiefe hilft / Kommentar von Lars Hennemann zu Erkenntnissen aus Corona

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Mainz (ots) – Vor 75 Jahren ermordeten die Nationalsozialisten den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer. Neben kaum fassbar tiefen Liedern und Briefen hat er diese Zeilen aus seiner Schrift “Von der Dummheit” hinterlassen: “Dummheit ist ein gefährlicherer Feind als Bosheit. Der Dumme ist im Unterschied zum Bösen restlos mit sich selbst zufrieden.” Bonhoeffer beschrieb so seine Peiniger und die, die sie stützten. 75 Jahre später heißt es, dass das Coronavirus die tiefste Krise der Menschheit nach dem von den Nazis losgetretenen Weltkrieg verursacht habe. An diesem Erzählstrang, neumodisch “Narrativ” genannt, entscheiden sich Haltung und Umgang mit der Krise: Wie gefährlich ist das Virus wirklich? Und wie klug – oder eben dumm – waren die Maßnahmen, die ergriffen worden sind?
Das Virus ist nicht böse. Es ist was es ist. Also in weiterhin ungeklärtem Ausmaß bedrohlich. Im Umgang mit ihm ist somit manches mittelbar böse, etwa Wuchergeschäfte oder versuchte politische Geländegewinne – herzliche Grüße nach Peking. Die unmittelbar entscheidende Kategorie der Krise ist aber Dummheit oder Nichtwissenwollen. Die Menschheit hätte gewarnt sein müssen. Seit Mers und Sars haben Wissenschaftler immer wieder gesagt, dass eine neue Pandemie komme. Die Coronaviren wurden als Seuchenherd sogar benannt. Das wurde ignoriert, und das war dumm. Im 17. Jahrhundert schrieb der englische Dichter John Donne in seinen “Meditationen”: “Niemand ist eine Insel. Jeder Mensch ist ein Stück des Kontinents.” Ebenfalls im 17. Jahrhundert sprang in Afrika das Gelbfiebervirus von Affen auf Menschen und dann über Kontinente. Wo immer Menschen Räume einnehmen, kommen sie mit Viren in Berührung. Jetzt über Fledermäuse. Es ist dumm, zu glauben, Wachstum habe keinen Preis.
Man kann sich gegen ihn wappnen. Erst recht, wenn man ihn seit Jahrhunderten kennt. Aber dann ist es dumm, wie in den USA eine stabile Gesundheitsvorsorge als Ausgeburt des Sozialismus zu bekämpfen. Oder dort, wo es eigentlich besser läuft, Systeme so herunterzusparen, dass medizinisches Personal schon vor Corona vor Überstunden kaum aus den Augen schauen konnte. Oder bei Schutzausrüstung als Nation strategische Autonomie aufzugeben und sich dem Markt auszuliefern. Der Markt ist wie das Virus nicht böse. Aber er greift seine Wirkmechanismen auf – und potenziert sie.
Das alles könnten wir wissen wollen. Ansonsten sind wir im Umgang mit Corona noch nicht viel weiter als beim sokratischen “Ich weiß, dass ich nichts weiß”. Von daher ist es gefährlich, wenn sich unsere Spitzenforscher aktuell mit ungeprüften, aber medial sofort und gezielt befeuerten Thesen ineinander verhaken. Dabei geht es wieder um das zentrale Narrativ: Wie viel Lockdown muss weiterhin sein, und wie viel Lockerung ist zu verantworten? Zwei klare Antworten: Solange wir zu wenig wissen, gehen in einer solidarischen Demokratie Menschenleben vor Geld. Und trotzdem ist es final dumm, Stillstand und Exit schwarz-weiß als Gegensatzpaar zu denken. Beides muss gedacht werden, ebenso gründlich wie schnell. Gehandelt werden darf dann nur auf Basis gesicherter Erkenntnisse. Kurzfristig und langfristig. Corona kann uns auf beiden Zeitachsen viel lehren. Wenn wir uns den Erkenntnissen der letzten Monate stellen. Nicht wie ein Dummer. Der geht, wie Bonhoeffer schrieb, wenn es nicht mehr so trügerisch bequem läuft, gereizt zum Angriff über. Wie kann man das verhindern? Es gibt kaum eine bessere Zeit im Jahr, sich auf die Suche nach dem Tiefen und Klugen in uns zu machen, als die Ostertage. In diesem Sinne: Erfolgreiche Ostern uns allen.

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Allgemeine Zeitung Mainz
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Quelle:Tiefe hilft / Kommentar von Lars Hennemann zu Erkenntnissen aus Corona


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