Angekommen / Leitartikel von Stefan Schröder zur Hochwasser-Katastrophe

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Mainz (ots) – Das sind Bilder, die wir bei uns nicht für möglich hielten. Menschen verlieren ihr Leben in einem scheinbar aussichtslosen Kampf mit der Natur. Vielerorts müssen die Opfer tatenlos zusehen, wie ihre über Jahrzehnte aufgebaute Existenz zerstört, überflutet, weggeschwemmt wird. Bilder, die wir von fernen Kontinenten oder aus einer lange zurückliegenden Vergangenheit kennen, verdichten sich dieser Tage zur eigenen Wirklichkeit: Der Klimawandel, bislang für viele etwas Abstraktes, nicht zu Fassendes ist angekommen und offenbart sich mitten in unserer so fortschrittlichen Zivilisation. Zeit, auf diese akute Bedrohung zu reagieren, bleibt kaum. Wer sich an die Jahrhundertfluten an Oder und Elbe erinnert, weiß von den täglichen Pegelmeldungen, von langsam aufweichenden Deichen; über Tage kündigte sich eine Flutwelle an. Die Sturzregen der vergangenen Stunden überraschten die Menschen bei Nacht, schlossen sie ein, ließen ihnen keine Chance – auch den Einsatzkräften nicht. Der Widersinn dieses Geschehens: Die Kräfte der Natur, die hier wirken und die so unzähmbar scheinen, sind das Ergebnis eines Prozesses, den wir Menschen in eineinhalb Jahrhunderten vorangetrieben haben. Flüsse wurden begradigt und ausgekoffert um den Preis, dass die Fluten stürzen statt zu fließen – und keine Ausweichflächen mehr finden. Ausgedünnte Wälder verlieren Kraft, Wasser aufzunehmen, sind aus dem Gleichgewicht geraten. Segnungen unserer Zivilisation wie Elektrizität, Mobilität, Nahrungsmittelgewinnung für Milliarden oder Massenproduktion entpuppen sich als Risikofaktoren. Wissenschaftler haben errechnet, dass wir die Erde im wahrsten Sinne des Wortes verbrauchen und auf Dauer 1,7 Welten benötigten, um unseren Bedarf zu decken. Der Raubbau geht einher mit massiven Schäden. Vor allem der dramatische Anstieg von Kohlendioxid trägt zur Erwärmung der Erdtemperatur bei. Das führt nicht nur zu einem erhöhten Wasserspiegel der Meere, sondern verändert Wind- und Wasserströme, die unser Wetter beeinflussen. Wir erleben keine Eintagsphänomene. Davon können Versicherer ein Lied singen, die Jahr für Jahr höhere Schäden nach Naturkatastrophen zu regulieren haben. Selbst wenn die Versicherung zahlt, wird den betroffenen Menschen das Leid nicht ersetzt. In Tagen wie diesen wird schlaglichtartig klar, dass der von Menschen gemachte Klimawandel in unserer Region angekommen ist und wie sehr er bereits unser Leben beeinflusst. In einer solchen Lage ist es richtig, sich zuerst Gedanken über schnelle Hilfe zu machen, den Opfern beizustehen, Solidarität zu üben. Die Wähler mögen für sich entscheiden, ob der Auftritt von Politikern in Gummistiefeln Teil dessen sein muss. Eher ist zu überprüfen, ob Hilfskräfte auf diese neuen Lagen vorbereitet sind und ob die Dämme beim nächsten Mal halten. Aber anschließend ist mehr vonnöten. Trockene Straßen, ausgepumpte Keller und wiederaufgebaute Häuser zeigen nur scheinbar eine heile Welt. Statt verlustreich mit der Natur zu ringen, müssen wir Menschen offenbar erst lernen, uns selbst zu besiegen.

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Quelle:Angekommen / Leitartikel von Stefan Schröder zur Hochwasser-Katastrophe


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