Drama ohne Drehbuch, Kommentar zur Türkei von Stefan Reccius

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Frankfurt (ots) –

Währungsturbulenzen mit wilden Kursschwankungen. Wiederholte Handelsstopps an der Istanbuler Börse. Panische Bürger und Unternehmer. Und ein Staatspräsident, der einen “wirtschaftlichen Un­abhängigkeitskrieg” beschwört und mit einem wirtschaftspolitischen Novum verblüfft: Die Krise in der Türkei hat eine neue Eskalationsstufe erreicht. Es ist ein modernes Drama, für das es längst kein passendes Drehbuch mehr gibt. Dafür staunende Kritiker, denen die Superlative ausgehen. Verzweifelte Statisten, die um Jobs, Erspartes oder gar die wirtschaftliche Existenz bangen. Und einen unter Allmachtsfantasien leidenden Regisseur, der nur noch improvisiert.

Am Montagabend hat Staatschef Recep Tayyip Erdogan seinem Vermächtnis ein denkwürdiges Kapitel hinzugefügt. Der selbsterklärte Zinsfeind verkündete ein umfassendes Erste-Hilfe-Programm für gebeutelte Sparer, Unternehmer und Investoren, das Experten als versteckte Zinserhöhung enttarnten. Im Zentrum der Ad-hoc-Maßnahmen steht eine spezielle Form der Einlagensicherung, die so in keinem volkswirtschaftlichen Standardwerk zu finden sein dürfte: Verliert die Lira stärker an Wert, als Banken Zinsen auf Spareinlagen zahlen, entschädigt der türkische Staat die Sparer. Eine vergleichbare Absicherung gegen Wechselkursverluste erhalten Exporteure. Die Regierung haftet somit gewissermaßen für Währungsrisiken mit der Absicht, die allgegenwärtige Flucht in Hartwährungen wie Dollar und Euro zu stoppen.

Am Devisenmarkt hat das die erwünschte Wirkung erzielt: Die Lira hat stark aufgewertet. Trotzdem wäre es verfrüht, von einer Konsolidierung zu sprechen. Denn obwohl die Lira in der Spitze mehr als ein Drittel zu Dollar und Euro zulegte, sind die Verluste auf Jahressicht noch immer exorbitant. Es handelt sich lediglich um eine ruckartige Korrektur, nachdem die Lira im Prinzip über Wochen im freien Fall war.

Erdogans Notfallplan taugt nicht, den Teufelskreis aus Lira-Verfall und hoher Inflation zu stoppen, solange der Staatschef der Notenbank seinen Niedrigzinswillen aufzwingt. Zudem hat die Raserei eine spekulative Blase genährt, die nun geplatzt ist. An drei aufeinanderfolgenden Tagen musste der Aktienhandel unterbrochen werden, weil der Leitindex Borsa Istanbul 100 um mehr als 5 Prozent absackte. Wochenlang haussierten die Börsenkurse, weil türkische Unternehmen stark vom Export leben und eine günstige Lira deren Waren auf den Weltmärkten attraktiv macht. Doch der größte Wirtschaftsverband rebelliert wegen der Nebenwirkungen offen gegen das Niedrigzinsdiktat. Das hat die Anleger verschreckt.

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Quelle:Drama ohne Drehbuch, Kommentar zur Türkei von Stefan Reccius


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