Labormilch unter der Lupe: Sinnvoller Ersatz oder verfrühte Euphorie?

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Hannover (ots) –

Fleisch aus der Petrischale oder Insekten aus der Chipstüte: Auf der Suche nach neuen Möglichkeiten zur Ernährung einer stetig wachsenden Weltbevölkerung experimentieren Forscher seit Jahren an Alternativen zur herkömmlichen Lebensmittelproduktion.

Auch der Klimawandel rückt eine nachhaltige Ernährung zunehmend in den Fokus: Dürren verursachen bereits jetzt Ernteausfälle, die Nutztierhaltung trägt nicht unerheblich zu den Treibhausgasemissionen bei. Einige Unternehmen arbeiten inzwischen daran, Milch und Milchprodukte im Labor herzustellen. Im Interview erläutert Molkereiingenieur Frank Feuerriegel den Vorgang, der Präzisionsfermentation genannt wird, und ob und wenn ja, welche Zukunft Labormilch haben wird.

Wie wird die sogenannte Labormilch hergestellt?

Das Verfahren nennt sich

AdobeStock_600327924.jpeg Präzisionsfermentation. Eine gentechnische Weiterentwicklung der Fermentation, bei der Mikroorganismen organische Stoffe umwandeln.

Bei der Präzisionsfermentation werden diese Mikroorganismen genetisch verändert. Dadurch können sie beliebige komplexe organische Moleküle erzeugen. Bei dem Verfahren für Milch wird spezifisch die Genschere Crispr-Cas verwendet. Bei diesem Vorgang wird das Enzym Cas9 mit einer bestimmten RNA-Sequenz an das Zielgenom herangebracht, wodurch der DNA-Doppelstrang im Ursprungsorganismus aufgetrennt wird. An dieser aufgetrennten Stelle kann dann eine andere DNA eingesetzt werden.

Das klingt ziemlich kompliziert….

Jetzt wird es einfacher: Für die Labormilch werden über das beschriebene Verfahren Gensequenzen von Kühen in Hefezellen eingebaut. Diese Sequenzen sind für die Produktion der Proteine in der Milch verantwortlich.

Die gentechnisch veränderten Hefezellen können im Rahmen ihrer neu gewonnenen Stoffwechseleigenschaften durch Gärung Milchproteine wie u. a. Caseine und Molkenproteine herstellen. Diese durch Hefen gebildeten Milchproteine werden mit weiteren Inhaltsstoffen wie Wasser, Zucker, Fette, Vitamine oder Mineralstoffe gemischt und zu Ersatz-Milch bzw. Ersatz-Milchprodukten verarbeitet.

Labormilch wäre damit ein gentechnisch verändertes Produkt, oder?

Ja, innerhalb der EU fallen die neuen Züchtungsverfahren wie die Genschere Crispr-Cas unter das Gentechnikrecht.

Wie schätzen Sie die Zukunft der Labormilch ein?

Vorerst als unsicher, da noch keine wissenschaftlichen Daten vorliegen. Wir wissen zum Beispiel nicht, ob der Körper Nährstoffe aus Labormilch genauso gut aufnehmen kann wie die aus der Kuhmilch. Dazu gibt es noch keine Berechnungen, ebenso wie der Energie- und Ressourcenverbrauch im Vergleich zu Produkten aus tierischer Erzeugung abschneidet. Ist Labormilch wirklich nachhaltiger? Welche Auswirkungen hat eine industrielle Labormilchproduktion auf die Umwelt?

Es kursiert die Zahl von 80 Prozent Kostenreduzierung gegenüber der klassischen milchwirtschaftlichen Erzeugung und Verarbeitung, aber bisher haben viele Unternehmen noch das Problem, die Labor-Produktion überhaupt auf ein kommerziell effektives Level hochzufahren. Grundsätzlich ist noch offen, ob Labormilch bzw. gentechnisch gewonnene Milchprodukte von den Verbrauchern angenommen werden würden. Vorausgesetzt, diese Produkte würden in der EU überhaupt eine Zulassung erhalten – auch das ist noch ungewiss.

In Amerika und Indien haben sie diese bereits….

Ja, in beiden Ländern sind erste Produkte auf dem Markt. In den USA begann es 2016 mit einer Variante von Speiseeis. Seit 2019 ist die Zahl der Start-ups in diesem Bereich stark gestiegen, auch in Deutschland. Lebensmittelkonzerne investieren hier ebenfalls schon. Prinzipiell halte ich es für gut, dass das Crispr-Cas-Verfahren weiter erforscht wird, weil es Chancen für die Landwirtschaft und den Nutztiersektor birgt, effizientere Verfahren zur Lebensmittelproduktion zu entwickeln. Was sich davon wie am Ende durchsetzt, ist jetzt noch nicht abzusehen.

Frank Feuerriegel ist Geschäftsführer der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen e.V. (LVN). In Niedersachsen sind vom Erzeuger über die Molkereien bis zur Verbraucherzentrale alle Verbände und Organisationen unter dem Dach der LVN zusammengeschlossen.

Über DIALOG MILCH

DIALOG MILCH ist eine gemeinsame Initiative der Landesvereinigungen der Milchwirtschaft in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, in deren Rahmen verschiedene einzelne und auch gemeinsame Maßnahmen durchgeführt werden. DIALOG MILCH hat es sich zur Aufgabe gemacht, kritische Fragen rund um die Milchwirtschaft aufzugreifen, selbstreflektiert ins Gespräch mit Verbrauchern und Journalisten zu gehen und die nachhaltigen und zukunftsweisenden Wege, die die Milchbranche bereits eingeschlagen hat, darzustellen.

Pressekontakt:

Christine Licher
– Leitung Öffentlichkeitsarbeit und Werbung –
Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen e.V.
Seelhorststraße 4 | 30175 Hannover
Tel. 0511 85 653-21 | Fax -98
E-Mail: licher@milchland.de

Quelle:Labormilch unter der Lupe: Sinnvoller Ersatz oder verfrühte Euphorie?


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