mein ausland: Blei im Blut – Sonntag, 28. Juli 2019, 21.45 Uhr

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Bonn (ots) – Wir benutzen täglich Dinge, die woanders produziert wurden. Wir telefonieren mit dem Handy, trinken Wasser aus Kupferrohr-Leitungen oder nutzen Windenergie von Windrädern. Die Produktion all dieser Produkte werden riesige Mengen an Rohstoffen benötigt, die in großem Ausmaß in Südamerika gefördert werden. Dinge, die wir selbstverständlich nutzen, werden unter Bedingungen produziert, die für Europäer unvorstellbar sind.

Lateinamerikas Politiker setzen noch immer auf ungebremstes Wachstum durch Rohstoffexporte. Eine Politik, die mehr als 400 Jahre in die Kolonialzeit zurückreicht. Die Kosten zahlen die Menschen, die von den Folgen betroffen sind. Eine Mitschuld tragen auch wir Europäer, die von den Rohstoffen aus Südamerika profitieren.

Etwa in Cerro de Pasco in Peru, wo die fatalen Folgen dieser Rohstoffgier sichtbar werden. Cerro de Pasco gilt als eine der dreckigsten Städte der Welt, weil es nah an einem gigantischen Tagebau liegt – betrieben von dem Schweizer Unternehmen Glencore. Hier wird Zink, Silber und Blei für den Weltmarkt gefördert. Wer in Cerro de Pasco lebt, nimmt über das Leitungswasser Schwermetalle auf. “Bei Blei, Kadmium, Kalium und Quecksilber messen wir erhöhte Werte. Alle Einwohner liegen deutlich über den Grenzwerten der Weltgesundheitsorganisation”, sagt Dr. Lanina vom Gesundheitszentrum Cerro de Pasco. Auch bei den Kindern, wie der Grundschulleiter Walter Titoal Toribio erzählt: “Wenn sie niesen, kommt häufig Blut aus der Nase. Sie schaffen es nicht, über längere Zeit aufzupassen.”

Ähnlich schlimm sieht es in La Rinconada aus – einem Goldschürfer-Nest auf gut 5.000 Meter Höhe. Hier suchen Menschen sogar in einem Rinnsal aus Gletscherwasser und Urin nach dem Edelmetall. La Rinconada hat vor mehr als zehn Jahren das Goldfieber gepackt. Es ist wohl der einzige Grund dafür, warum die Bevölkerungszahl des einstigen Anden-Dörfchens auf mehr als 50.000 explodiert ist. Das Gold wird per Kurier meist in die Schweiz exportiert. Gleichzeitig ist La Rinconada selbst zu einer Müllkippe verkommen. Müll und Dreck stapeln sich kilometerlang vor den Toren des Städtchens.

In Brasilien hat die Gier nach Rohstoffen unlängst eine Katastrophe ausgelöst. Das Land ist einer der wichtigsten Exporteure von Eisenerz. In der Mine von Brumadinho brach im Januar 2019 ein Rückhaltebecken mit giftigem Abräumschlamm und begrub mehr als 250 Menschen unter sich. Zuvor hatte der TÜV Süd das Staubecken als sicher eingestuft. Dokumente belegen, dass der deutsche Zertifizierer wohl auf Druck des Minenbetreibers Vale so handelte, damit der bei hohen Eisenerz-Preisen in möglichst kurzer Zeit möglichst viel fördern konnte.

Dass sich etwas an diesen Praktiken ändert, ist nicht zu erwarten. Schon 2015 hatte es ein ähnliches Unglück gegeben, härtere Gesetze hatte das nicht zur Folge. Damals zahlten die Minenbetreiber noch nicht mal die Strafen, die per Gericht gegen sie verhängt wurden. Und auch der neue Präsident Brasiliens, Jair Bolsonaro, setzt weiter auf Deregulierung. Vor der Katastrophe wollte er die Sicherheitskontrollen sogar den Minenbetreibern selbst überlassen.

In ganz Südamerika stehen die Zeichen auf einen ungebremsten Rohstoffabbau – auch aus Gebieten, die bislang als weitgehend unerschlossen galten. In Brasilien wird etwa für den Anbau von Soja der Regenwald abgeholzt. Im peruanischen Amazonasgebiet will die Regierung Perus ein bis dato unzugängliches Gebiet wirtschaftlich stärker erschließen. Eine chinesische Firma soll Amazonas-Zuflüsse so tief ausbaggern, dass große Container-Schiffe ganzjährig fahren können. Die Vertiefung ist hochumstritten – vor allem indigene Gruppen wehren sich.

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