Berliner Morgenpost / Nichts dazugelernt / Ein Leitartikel von Politik-Korrespondent Christian Unger

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Berlin (ots) –

Es ist dringend Zeit für einen Wandel in der Flüchtlingspolitik

Der Asylpolitik fehlt, was die Klimapolitik längst gelernt hat. Regierungen schaffen Maßnahmen, die ein Leben in einer Welt mit höheren Temperaturen ermöglichen. Kommunen schaffen Städte, die mehr Wasserspeicher für Rekordsommer bauen und Wärme in Energie umwandeln. Notfallpläne für Klima-Katastrophen werden trainiert, Landwirte züchten Pflanzen, die resistenter gegenüber Starkregen oder Dürre sind. Der Schlüssel ist die “Resilienz” – die Fähigkeit, eine Belastung auszuhalten. Aus ihr zu lernen, um am Ende gestärkt aus einer Krise rauszukommen.

Die deutsche Flüchtlingspolitik hat den Aufbau einer “Resilienz” verschlafen. Die Belastung ist seit Jahren da, doch noch immer prägen Naivität, Schuldzuweisungen, Abschottung und Angstmache die Debatten über Migration und Flucht. Noch immer gibt es keinen Plan, Migrationspolitik langfristig zu organisieren – weder an der EU-Spitze in Brüssel noch in den Regierungen von Bund und Ländern in Deutschland. Migration und Flucht aber lassen sich nicht ignorieren. So viele Menschen wie nie sind aus ihrer Heimat geflohen, weltweit mehr als 100 Millionen Menschen. Der Krieg in der Ukraine hat die Lage in Europa verschärft. Flutkata­strophen und Dürren treiben Betroffene aus ihren Regionen in sichere Gebiete. Wir leben im Zeitalter der Flucht – und doch reden wir darüber, als ließe sich mit ein paar Millionen Euro Förderung und ein paar Gesetzesänderungen reparieren, was über Jahrzehnte zerstört wurde.

Die Last der Migration und Flucht tragen in Deutschland vor allem die Kommunen. Vielerorts sind Ausländerbehörden am Limit, dort fehlen Unterkünfte und Wohnungen für Schutzsuchende genauso wie Betreuung in Kitas und Schulen. Die Kommunen sind Deutschlands kleinste Verwaltungseinheit – und doch tragen sie die Last der Weltkrisen auf ihrem Rücken. Das kann so nicht bleiben. Kurzfristig brauchen die Städte und Gemeinden mehr Hilfe vom Bund: Geld, Personal, Know-how. Schon einmal hat die Bundeswehr 2015 bei der Registrierung von Asylsuchenden geholfen. Warum nicht jetzt auch? Und wenn die Scholz-Regierung 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr im Sonderetat verspricht, sollte sie nicht nur drei, vier Milliarden für Verbesserungen in der Asylpolitik bereitstellen.

Die Bundesregierung erleichtert Fachkräfteeinwanderung, ermöglicht bessere Chancen für abgelehnte Asylsuchende, doch noch einen Job und damit ein Bleiberecht in Deutschland zu bekommen. Die Ampel legt Sonderprogramme für Afghanistan und die Türkei auf, teilweise sind es bürokratische Monster. Doch vor allem gilt: Was in Berlin beschlossen wird, müssen Landräte und Kreisverwaltungen vor Ort umsetzen: Menschen versorgen, unterbringen, integrieren.

So wichtig wie kurzfristige Hilfe sind langfristige Konzepte. Statt länger Widerstand von Staaten wie Polen oder der Slowakei bei der Aufnahme von Flüchtlingen brechen zu wollen, müssen sich aufnahmewillige Staaten in Europa solidarisieren. Sie werden hohe Kosten haben. Aber sie werden langfristig mit mehr Fachkräften belohnt. Keine EU-Nation wird ohne Zuwanderung stark bleiben.

Statt jedes Jahr das Scheitern von Abschiebungen zu verkünden, muss die Politik freiwillige Ausreisen stärker fördern. Und statt Asylunterkünfte nach einer Fluchtkrise wie 2015 wieder massenhaft abzubauen, müssen dauerhafte Einrichtungen entstehen – eingebunden in ein Netzwerk von freiwilligen Helfern vor Ort. Was Deutschland braucht, ist eine robuste, eine resiliente Asylpolitik.

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Quelle:Berliner Morgenpost / Nichts dazugelernt / Ein Leitartikel von Politik-Korrespondent Christian Unger


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